1 Ziele des Strafrechts und der Strafe
Ziele des Strafrechts
Fokus des Strafrechts
Das Schweizerische Strafrecht ist Täterorientiert. Es regelt, wie das Verhalten eines Täters sanktioniert wird. Dabei hält es nicht nur fest, welche Strafen für welche Delikte verhängt werden, sondern vor allem, welche Verhaltensweisen überhaupt strafbar sind (vgl. Art. 1 StGB). Das Strafrecht ist damit ein Beispiel dafür, welche Einschränkungen der Staatsmacht in einem Rechtsstaat auferlegt werden. Franz von Liszt, ein deutscher Jurist des 19. Jahrhunderts, spricht denn auch vom Strafrecht als der “magna charta des Verbrechers”.
Das Opfer einer Straftat
Im Schweizerischen Strafrecht wird das Opfer einer Straftat lediglich als Voraussetzung für die Strafbarkeit des Täters betrachtet. Selbst im Strafprozessrecht kommt dem Opfer nur indirekt Parteistatus zu. Das Opfer wird grundsätzlich lediglich als Zeuge in den Strafprozess involviert. Nur über das Opferhilfegesetz (OHG) werden Opfer schwerer Straftaten als “Opfer” anerkannt und erhalten Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Rechte.
Alle anderen Opfer von Straftaten werden lediglich als Geschädigte bezeichnet und haben ausschliesslich Anspruch auf zivilrechtlichen Schadenersatz im Sinne des ausservertraglichen Haftpflichtrechts.
Ziele der Strafe
Strafe bedeutet, jemandem bewusst ein Übel zuzufügen.
Bei vielen Diskussionen über die Ziele des Strafrechts geht die grundlegende Definition von Strafe vergessen. Bei den folgenden Überlegungen muss diese Definition jedoch stets im Hinterkopf behalten werden.
Die Ziele der Strafe im Überblick
- Rache: Die Strafe soll das begangene Unrecht durch das dem Täter zugefügte Übel ausgleichen.
- Prävention: Durch die Androhung und Verhängung von Strafen soll zukünftigen Straftaten des Täters (Spezialprävention) und potentieller weiterer Täter (Generalprävention) entgegengewirkt werden.
- (Re)Sozialisierung: Die Strafe soll erziehend auf den Täter einwirken. Es soll sichergestellt werden, dass der Täter nach Verbüssen der Strafe in die Gesellschaft (re)integriert werden und in Zukunft ein straffreies Leben führen kann.
- Sicherung der Rechtsordnung: Die Strafe dient dazu, die Missachtung der Rechtsordnung zu sanktionieren und ihr so Nachachtung zu verleihen.
Zu den Zielen der Strafe im Einzelnen
Rache
Die Rache ist wohl das älteste Ziel der Strafe. So alt, wie dieses Ziel ist, so alt sind auch die Bemühungen, die Rache nicht ausufern zu lassen. So stehen bereits im alten Testament die oft falsch verstandenen Verse “Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand; Fuss um Fuss, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Strieme um Strieme. (2. Mose 21, 24-25)”.
Dieses Aufforderung ist keine Aufforderung, begangenes Unrecht maximal zu vergelten, sondern vielmehr ein Aufruf, die Rache auf das Mass des begangenen Unrechts zu beschränken. Im frühen Mittelalter wurde die hier sichtbare Idee weitergeführt und die Begrenzung der Rache weiter verstärkt. Anstelle einer Vergeltung trat die Idee der Wiedergutmachung. So wurde die Blutrache durch Geldzahlungen ersetzt. Erhaltene Rechtstexte aus jener Zeit, wie die “Lex Salica” beinhalten eigentliche Preislisten für die Abgeltung getöteter oder verletzter Personen. Die Entschädigung richtete sich nach dem Status der Personen.
Später wurde die Strafe an das Gemeinwesen übertragen. Die Idee war, dass nicht mehr der Einzelne sich Gerechtigkeit verschaffen muss, sondern dass das Gemeinwesen die Aufgabe der Strafverfolgung und Strafvollstreckung übernimmt. Mit dieser Entwicklung ging zuerst eine deutliche Verschärfung der Strafen einher. Dies hat wohl vor allem damit zu tun, dass das Gemeinwesen schwach war und sich mit den exemplarischen Strafen selber vergewissern musste.Erst in der frühen Neuzeit setzte wieder eine Mässigung der Strafen ein.
Prävention
Prävention ist vor dem Hintergrund des Strafrechts ein anderes Wort für Abschreckung. Es geht darum, potenzielle Täter von der Begehung von Straftaten abzuhalten, indem die Konsequenzen eines solchen Handelns deutlich gemacht werden.
Bei der spezialpräventiven Wirkung der Strafe wird versucht, den einzelnen Täter von weiteren Straftaten abzuhalten. Dies geschieht durch die Verhängung von Strafen, die so gestaltet sind, dass sie abschreckend wirken. Bei der generalpräventiven Wirkung hingegen geht es darum, die Allgemeinheit von der Begehung von Straftaten abzuhalten. Hierbei spielt die öffentliche Wahrnehmung von Strafen eine wichtige Rolle. Wenn die Bevölkerung die Strafen als angemessen und wirksam empfindet, kann dies dazu führen, dass potenzielle Täter von der Begehung von Straftaten absehen.
Es hat sich allerdings gezeigt, dass nicht die Strafe an und für sich abschreckend wirkt. Viel abschreckender ist die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden. Dies gilt zumindest für rationale Täter, die ihre Handlungen abwägen und die Risiken und Konsequenzen ihres Handelns berücksichtigen.
Irrationale Täter dürften sich hingegen weder von einer Strafe noch von der Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, abschrecken lassen.
(Re)Sozialisierung
Die (Re)Sozialisierung ist ein weiteres wichtiges Ziel der Strafe. Sie geht davon aus, dass der Täter soziale Defizite aufweist, welche durch die Strafe kompensiert werden müssen bzw. können. Das Ziel ist es, dass sich ein Täter nach dem Verbüssen der Strafe (wieder) in die Gesellschaft integrieren kann.
Die Idee hinter der (Re)Sozialisierung ist, dass viele Straftaten aus sozialen Benachteiligungen, fehlender Perspektive oder psychischen Problemen resultieren. Durch gezielte Unterstützung und Förderung soll dem Täter die Möglichkeit gegeben werden, seine Lebensumstände zu verbessern und zukünftig straffrei zu leben.
Für die (Re)Sozialisierung werden verschiedene Massnahmen, wie zum Beispiel Therapieangebote, Bildungsmassnahmen oder soziale Trainings angeboten.
Sicherung der Rechtsordnung
Die Sicherung der Rechtsordnung berührt ein zentrales Wesensmerkmal des Rechts. Recht ist nur, was durch gesellschaftliche Zwangsmassnahmen durchgesetzt werden kann. Dies bedeutet, dass die Einhaltung von Rechtsnormen nicht nur auf Freiwilligkeit beruht, sondern auch durch staatliche Gewalt durchgesetzt werden muss. Die Strafe ist Ausdruck dieser staatlichen Gewalt.